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Telefunken nach 100 Jahren - Das Erbe einer deutschen Weltmarke

Pünktlich zum 100jährigen Jubiläum im Jahre 2003 erschien das Buch Telefunken nach 100 Jahren zur Geschichte des Unternehmens. Eine Gruppe von meist ehemaligen Managern der Firma und befreundeten Fachleuten erstellte in jahrelanger Vorarbeit dieses recht umfassende Bild eines einst weltbekannten Unternehmens. Für alle, die keinen Zugang zu einem Exemplar dieses inzwischen vergriffenen Druckwerks haben, seien die für Backnang relevanten Kapitel mitsamt allen dazugehörigen Bildern hier wiedergegeben.
Dies geschieht mit freundlicher Genehmigung der Nicolaische Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin.

Glasfasertechnik

Schneller, breitbandiger, störungsfrei auf weltweiten Wegen

Von Theodor Pfeiffer

Wer heute ein Ferngespräch führt oder gar ein Überseegespräch z. B. nach New York, ist oft erstaunt, wie gut die Sprachqualität ist. Keine Verzerrungen, kein lästiges Rauschen stören! Man hat den Eindruck, der Gesprächspartner befinde sich im Nachbarhaus. Dass dies heute so ist, verdanken wir der Digitaltechnik und nicht zuletzt der Glasfaser, über die noch so mächtige Nachrichtenströme mühelos übertragen werden können. Selbst in den modernen Seekabeln befinden sich die haardünnen Fasern, und nach einer rund 4.000 km langen „Unterseereise“ zwischen Europa und New York kommen die Nachrichtensignale unverzerrt und ohne große Verzögerung an.

Doch was heute normaler Stand der Technik ist, war vor rund 40 Jahren noch gar nicht bekannt. Blättern wir in der Chronik doch einmal zurück in diese Zeit, als Glasfasern, zu Bündeln verpackt, als Faseroptik in der Medizin Verwendung fanden oder in Blumenvasen - von unten beleuchtet - als „leuchtender Blumenstrauß“ verkauft wurden. Bei diesen Anwendungen nutzte man das schon länger bekannte Prinzip, dass Licht, das in haarfeine Glasfäden eingestrahlt wird, durch Totalreflexion allen Krümmungen folgt und am Ende der Faser nahezu ohne Verluste wieder austritt. Dies funktionierte auch gut, solange die damals verfügbaren Fasern nur wenige Meter lang waren. Für Weitverkehrsanwendungen jedoch waren sie mit einer Dämpfung von mehr als 1 dB/m völlig ungeeignet, denn bereits am Ende einer 50m langen Strecke war bestenfalls noch der zehnmillionste Teil der eingestrahlten Lichtleistung verfügbar. An das Übertragungsmedium Glasfaser für die zukünftige Nachrichtenübertragung dachte daher damals niemand. Wohl aber experimentierte man mit so genannten Wellenhohlleitern - das sind 50-70 mm dicke Rohre, die innen mit einem Dielektrikum beschichtet sind -, über die man im Millimeterwellenbereich gleichzeitig ca. 250.000 Gespräche übertragen wollte. Auch Telefunken befasste sich in Kooperation mit anderen Firmen mit dieser Technik.

Dies also war der Stand der Glasfasertechnik, als Mitte 1964 einige junge Wissenschaftler im Telefunken-Forschungsinstitut in Ulm (FI Ulm) Halbleiter-Fotodioden auf ihre Eigenschaften untersuchten. Sie interessierte insbesondere die Impedanz, das Rauschverhalten und das Schaltverhalten bei Lichtblitzen von etwa einer Nanosekunde. Im Verlauf der Arbeiten – genauer gesagt: im Oktober 1965 - hatte M. Börner, der Leiter der Gruppe, die Idee, dass die Kombination eines bis in den Gbit/s-Bereich durch PCM-Signale modulierbaren Halbleiterlasers, eines dielektrischen Lichtwellenleiters aus Glas und einer Halbleiter-Fotodiode ein exzellentes neues Nachrichtensystem ergeben könnte (BILD 1). Er besprach sie mit seinen Mitarbeitern und mit K. Fränz, dem damaligen Leiter des Forschungsinstituts, und trug seine Idee schließlich auch dem Telefunken-Vorstand vor.

204aBild 1: Prinzipieller Aufbau eines Glasfaser-Übertragungssystems: A/D = Analog-Digital-Wandler, S = Sender mit Halbleiter-Laser, GF = Glasfaser, E = Empfänger mit Halbleiter-Fotodiode, D/A = Digital/Analog-Wandler

Daraufhin begannen im Januar 1966 die Grundlagenarbeiten. Veröffentlichungen im Sommer 1966 offenbarten, dass auch bei den Firmen STL in England und CSF in Frankreich Untersuchungen an Glasfasern durchgeführt wurden. Im September 1966 beschrieb Börner daher seine Erfindung in einem Patentantrag mit dem Titel „Mehrstufiges Übertragungssystem für in Pulscodemodulation dargestellte Nachrichten“. Zwei Monate später wurde der Antrag beim Deutschen Patentamt eingereicht, und am 16. Mai 1968 wurde das Patent erteilt. Es war das weltweit erste Systempatent für Glasfaser-Übertragungssysteme und wurde danach auch in Frankreich, Großbritannien und in den Vereinigten Staaten erteilt.

205a tbBild 2: Abmessungen eines im FI Ulm entwickelten Lasers im Größenvergleich zu einer Feldameise. Der Laser hat quaderförmige Gestalt mit einem Draht von nur 25 µm Durchmesser als Strohmzuführung. Die eigentliche lichtemittierende Fläche des Lasers beträgt nur etwa 5 µm x 1 µmIm Konzern wuchs inzwischen das Interesse an dem Vorhaben, und so trieb man ab Anfang 1966 - auf Empfehlung einer Telefunken-Expertenkommission - die Untersuchungen an Halbleiterlasern und schnellen Halbleiter-Fotodioden verstärkt voran. Bereits wenig später wurden im Heilbrenner Halbleiterwerk in Kooperation mit dem FI Ulm erste Avalanche-Fotodioden zur Detektierung von Laserimpulsen gefertigt, die eine bis dahin unerreichte Schnelligkeit und Empfindlichkeit besaßen. Auch die internationalen Fortschritte bei der Entwicklung von Glasfasern wurden in Ulm kritisch-aufmerksam beobachtet, und schon bald entschloss man sich, die Eigenschaften von Glasfasern verschiedener Hersteller zu untersuchen. Nachdem auch das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW) signalisierte, die Arbeit zu unterstützen, stellte Telefunken Backnang Ende 1969 einen Antrag auf Förderung des Vorhabens „Die Entwicklung eines optischen Datenübertragungssystems mit dielektrischen Wellenleitern“. Nach dessen Genehmigung begann bald darauf im FI Ulm auch die Entwicklung von Halbleiterlasern. Schon ein Jahr später kamen die ersten Laser-Prototypen aus der Ulmer Kleinserienfertigung (BILD 2), und 1972 arbeiteten die Laser schließlich ohne zusätzliche Kühlung im Dauerstrich.

206a tbBild 3: Verschweißen zweier Glasfasern im elektrischen Lichtbogen (Lichtbogenspleiß)Nun war auch die Zeit gekommen, dass an die Herstellung eigener Glasfasern gedacht werden konnte, und so entwickelte man im FI Ulm eine Anlage zum Ziehen von Glasfasern. Bereits 1974 gelang die Fertigung von Fasern mit einer Dämpfung von 30 dB/km, ein Jahr später sogar mit einer Dämpfung < 10 dB/km. Begleitend hierzu entwickelte man bei der AEG-TELEFUNKEN Kabelwerke AG in Rheydt Konstruktionskonzepte für Glasfaserkabel, und in Backnang arbeitete man mit Hochdruck an der Entwicklung erster Glasfaser-Übertragungssysteme, denn die Ulmer Laser erreichten nun eine Lebensdauer von mehreren tausend Stunden. Auch die Glasfaser-Mess- und Spleißtechnik wurde dort intensiv untersucht. Die Arbeiten verliefen erfolgreich, und so konnte Telefunken Backnang 1977 als erste Firma Deutschlands ein Spleißgerät vorstellen, mit dem man Glasfasern mittels eines Lichtbogens dämpfungsarm miteinander verschweißen konnte (BILD 3). Wenig später entschied sich die Deutsche Bundespost, nur noch diese Technik bei Spleißarbeiten einzusetzen.

207a tbBild 4: Verlegen eines Glasfaserkabels in einen Kabelzug1978 - zehn Jahre nach der Erteilung des Börnerschen Patents – war es dann soweit, dass erste Glasfaser-Übertragungssysteme in einem Feldversuch im Netz der Bundespost getestet wurden. Im Berliner Ortsnetz stand hierfür eine 4,5 km lange Trasse zwischen zwei Vermittlungsämtern zur Verfügung, die von Telefunken Backnang und drei weiteren deutschen Fernmeldefirmen als „Testbett“ genutzt wurde. Die Streckenführung enthielt sowohl Abschnitte mit schwierigen Verlegebedingungen als auch Abschnitte, in denen ungünstige Umweltbedingungen, wie starke  Temperaturschwankungen oder hohe Beeinflussungsspannungen, auf das Kabel einwirkten. Das von den AEG-TELEFUNKEN Kabelwerken entwickelte Glasfaserkabel - bestückt mit acht Fasern aus Ulm (Dämpfung ca. 4 dB/km) - war daher robust aufgebaut und konnte ohne Schwierigkeiten in die bereitgestellten unterirdischen Kabelzüge eingezogen werden (BILD 4). Die Endgeräte – ebenfalls ausgestattet mit Lasern und Fotodioden aus Ulm – befanden sich in den Vermittlungsämtern. Sie waren für die Bitrate 34 Mbit/s ausgelegt (480 Sprechkreise) und wurden sechs Monate lang im Dauerbetrieb getestet. Während des Feldversuchs bewährte sich das Telefunken-System bestens. Es arbeitete zuverlässig, und die Bitfehlerrate, ein Maß für die Qualität der Übertragung, war deutlich niedriger als gefordert.

Danach folgten in kurzen Abständen weitere Systeme:

1979 wurde im Hochspannungsnetz der Badenwerk AG weltweit das erste Glasfaser-Übertragungssystem auf einer 110 kV-Hochspannungsleitung mit einem selbsttragenden Erdseil-Luftkabel von den AEG-TELEFUNKEN Kabelwerken installiert. Die Länge der Übertragungsstrecke betrug 1,8 km.

Die Endgeräte sowie die Kabelgarnituren kamen aus Backnang. Zunächst wurde das System nur für die Sprachübertragung verwendet, dann aber - aufgrund der guten Betriebserfahrungen – als digitales Verbindungsglied zur Steuerung der Leistungsschalter an den beiden Enden der 110 kV-Leitung eingesetzt, wodurch im Fall eines Fehlers im Hochspannungssystem eine besonders rasche Abschaltung erfolgen konnte. Die Anlage erregte viel Aufsehen in der Fachwelt und stand lange Jahre erfolgreich und fehlerfrei in Betrieb. Erst vor kurzem wurde sie von einer hochkanaligen Verbindung abgelöst.

1980 lieferte Telefunken Backnang an eine ausländische Postverwaltung 140 Mbit/s-Leitungsendgeräte, mit denen ein Fernseh- und Rundfunkzubringersystem aufgebaut wurde. In Berlin wurde eine Testanlage für Rundfunk- und Fernsehprogrammverteilung installiert. Rund 30 Teilnehmer konnten direkt über individuelle Glasfaser-Teilnehmerleitungen auf sechs Fernseh- und 14 UKW-Programme zugreifen. Außerdem wurden die ersten 34-Mbit/s-Seriengeräte geliefert und auf einer 13 km langen Strecke im Fernnetz der Deutschen Bundespost in Betrieb genommen.

1981 beauftragte die Deutsche Bundespost sechs deutsche Firmen, so genannte BIGFON-Prototyp-Systeme zu entwickeln (BIGFON = Breitbandiges Integriertes Glasfaser-Fernmelde-Orts-Netz). Telefunken Backnang/ANT Nachrichtentechnik realisierte dieses weit in die Zukunft gerichtete System in enger Zusammenarbeit mit den Partnern AEG-TELEFUNKEN Kabelwerke, Rheydt, Telefonbau und Normalzeit, Frankfurt/M., sowie der TELEFUNKEN Fernseh- und Rundfunk GmbH, Hannover, in knapp drei Jahren. Das System ging termingerecht 1984 in Düsseldorf und Hannover in Betrieb und bewährte sich dort bestens. Die Teilnehmer hatten über individuelle Glasfaserleitungen (Bitrate 250 Mbit/s) Zugriff zu den verschiedensten Kommunikationsdiensten wie Fernsprechen, Fernschreiben, Telefax, Bildschirmtext, hochauflösendes Bildfernsprechen, Stereorundfunk und Fernsehen.

207b tbBild 5: Glasfaserkabel für die Nachrichtenübertragung in öffentlichen NetzenSchließlich wurde die Entwicklung von Glasfaser-Übertragungssystemen Routine. In den folgenden Jahren entstanden bei ANT Nachrichtentechnik in Backnang verschiedene Systeme mit Bitraten bis zu rund 2,5 Gbit/s, die den internationalen Normen entsprechen. Sie wurden an die Deutsche Bundespost / Deutsche Telekom und andere Kunden geliefert. Um Komplettsysteme aus eigener Fertigung anbieten zu können, wurden ab 1987 im Werk Offenburg auch Glasfaserkabel hergestellt (BILD 5) einschließlich des für Kabelanlagen benötigte Zubehörs.

Heute sind 2,5 Gbit/s-Systeme (ca. 30.000 Sprechkreise) weit verbreitet, in den Haupttrassen der großen Netzbetreiber befinden sich bereits 10 Gbit/s-Systeme, und die Kontinente unserer Erde sind durch Glasfaser-Seekabel mit hoher Übertragungskapazität miteinander verbunden. Noch breitbandigere 40 Gbit/s-Systeme (ca. 480.000 Sprechkreise) sind bald einsatzreif. Doch die Erfolgsgeschichte der Glasfaser ist noch lange nicht zu Ende, denn auch ein 40 Gbit/s-System nutzt die prinzipiell verfügbare Übertragungskapazität nur zu einem Bruchteil. Mit Erfolg werden inzwischen erste Systeme eingesetzt, die Lichtstrahlen unterschiedlicher Wellenlänge in die Faser einspeisen und pro Wellenlänge 10 Gbit/s oder gar 40 Gbit/s übertragen können. Bekannt geworden ist beispielsweise ein System mit 160 Kanälen à 10 Gbit/s, also einer Gesamtbitrate von 1.600 Gbit/s. Das heißt, auf einer Faser können gleichzeitig rund 20 Millionen Gespräche übertragen werden oder einige tausend Fernsehsignale. Heute mögen wir zweifeln, ob diese Kapazität jemals benötigt wird, aber die Erfahrung hat uns ja gezeigt, dass der Bedarf oft schneller als erwartet eintreten kann.

 

 

Mit freundlicher Genehmigung der Nicolaische Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin

 

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