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Die Fernmeldetechnik der AEG

 

Telefunken Zeitung tbTelefunken Zeitung vom März 1955Unter diesem Titel beschreibt der spätere AEG Generalbevollmächtigte und Begründer der Backnanger Telekommunikationstechnik Günter Wuckel die Entstehung der Nachrichtentechnik bei der AEG. Parallel zu den Aktivitäten von Telefunken, deren Schwerpunkt die funktechnischen Anwendungen waren, entwickelte sich am Spreeufer die leitergebundene Übertragungstechnik. Das alles spielte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts ab.
Der Artikel entstammt der Telefunken Zeitung vom März 1955.

Günter Wuckel

Zusammenfassende Übersicht über die Entwicklung der Fernmeldetechnik im Rahmen der AEG während der letzten 50 Jahre.

Die Fernmeldetechnik der AEG ist aus dem Kabelwerk Oberspree (KWO, Bild 1) hervorgegangen und dadurch engstens mit der Entwicklung der Kabeltechnik der AEG verknüpft. Bereits ein Jahr nach Gründung des KWO nahm man dort die Herstellung von Telephon- und Telegraphenkabeln auf. Nach diesem Anfang 1899 folgte Schritt für Schritt ein Baustein der Nachrichtentechnik nach dem anderen. So entstand zunächst im Rahmen des KWO eine immer größeren Umfang und größere Bedeutung gewinnende Abteilung Fernmeldewesen (Fm), die schließlich 1938 als ,Fernmeldekabel- und Apparatefabrik Oberspree' (FAO, Bild 2) aus dem Bereich des KWO ausgegliedert und selbständige AEG-Fabrik wurde.

Die Leistungen der Fernmeldekabel- und Apparatefabrik Oberspree sind vor 10 Jahren in dem Aufsatz „40 Jahre AEG-Fernsprechkabel"  1)  eingehend geschildert worden. Nach diesem Zeitpunkt wurde noch die Geräteentwicklung stark ausgeweitet und das gesamte Fertigungsprogramm planmäßig verbreitert. lm Jahre 1945 fiel alles dem allgemeinen Zusammenbruch zum Opfer.

Wenn in diesen Tagen trotzdem die 1000. Trägerfrequenz-Fernkabellänge der AEG-Nachkriegsproduktion zur Abnahme gestellt werden kann und auf der diesjährigen Messe in Hannover unser erstes neues TF-Amt gezeigt wurde, so sind das zwei äußere Merkmale dafür, daß bei der AEG auch die Fernmeldetechnik zu neuem Leben erwacht ist und ihren Platz wie ehedem unter den einschlägigen Firmen behauptet. Um diese Tatsache voll würdigen zu können, sei als Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart ein kurzer historischer Rückblick gegeben.

Kabelwerk Oberspree (KWO) in der 30er JahrenBild 1: Kabelwerk Oberspree (KWO)I. Die Vorgeschichte der Fernmeldetechnik in der AEG

Wie schon erwähnt, ist im Jahre 1899 im KWO mit der Herstellung von Telephon- und Telegraphenkabeln begonnen worden. Diese Fertigung beruhte etwa ein Jahrzehnt lang fast ausschließlich auf werkstattmäßigen Erfahrungen, dann begann eine immer systematischere Laborarbeit, auf Grund deren bereits 1910 die Aufnahme einer Fabrikation von Fernkabeln beschlossen wurde. Gleichzeitig sind Vorarbeiten zur Errichtung einer Pupinspulenfabrik eingeleitet worden. Die ersten Pupinspulen wurden nach Ablauf der Pupin-Patente 1914 hergestellt und in ein 90 km langes Fernsprechkabel der Berliner Elektrizitätswerke eingebaut. Auch die erstmalige Erprobung eines Kondensatorausgleichs ist an dieser Kabelstrecke durch die AEG vorgenommen worden, eine Ausgleichstechnik, die später in Deutschland allgemein angewandt wurde. In das Jahr 1916 fällt sodann eine grundlegende Arbeit von Jordan  2)  über die Entzerrung langer, mit Verstärkern ausgerüsteter Leitungen.

Das Jahr 1912 war - selbst im Vergleich zu den oben angeführten übrigen Daten - besonders entscheidend und wichtig, da ebenfalls im KWO das erste sogenannte Relaislaboratorium für Entwicklung und Bau von Verstärkern gemeinsam von AEG, Felten & Guillaume und Telefunken eingerichtet wurde. Das Hauptverdienst an der Entwicklung der Verstärkerröhre, die für das Fernsprechwesen von grundlegender Bedeutung geworden ist, wird von verschiedenen Seiten beansprucht. Allein in den Jahren 1900 bis 1910 sind nicht weniger als 45 Vorschläge bekannt geworden, die aber alle nicht von Wert waren. Das eigentliche Problem wurde erst durch die von Lieben verwendete Glühkathodenröhre gelöst. Es ist interessant, in unseren Akten nachzulesen, daß Emil Rathenau durch Geheimrat Nernst auf die Tätigkeit Líebens und seiner Mitarbeiter aufmerksam gemacht wurde. Ein ausführlicher Bericht über die am 3.August 1911 im Institut für Technische Physik zu Berlin erfolgte Besichtigung des Liebenschen Verstärkers durch den damaligen technischen Direktor des Kabelwerks Oberspree schließt nach eingehender Darstellung der prinzipiell wichtigen technischen Einzelheiten des neuen Verstärkers mit folgenden Bemerkungen:

"Die Erfindung ist jedenfalls von hohem technischem Interesse, da die Aufgabe, Wellenströme kompliziertester Zusammensetzung verzerrungsfrei zu verstärken, wohl zum erstenmal ganz gelöst ist. Da der Apparat unabhängig von allen Einflüssen der Massenträgheit arbeitet, so kann er auch den schnellsten Schwingungen folgen, also sogar die höchsten Obertöne eines Klanges in richtigen Verhältnissen verstärkt wiedergeben".

Hiernach ist der hohe Wert der neuen Erfindung für die Fernmeldetechnik von seiten der AEG sofort klar erkannt worden. Es folgten, ebenfalls auf Initiative der AEG, der Abschluß eines Patentabkommens und die Gründung des Lieben-Konsortiums sowie die erwähnte Einrichtung des Speziallaboratoriums im Kabelwerk Oberspree.

Die Fernmeldekabel- und Apparate-Fabrik OberspreeBild 2: Die Fernmeldekabel- und Apparate-Fabrik OberspreeAus den Geschäftsberichten des Kabelwerkes von 1912 bis 1914 geht hervor, welche bedeutenden Fortschritte das Relaislaboratorium erzielt hat. Insbesondere wird auf die Verwendung der Röhren als Empfangsverstärker sowie als Hochfrequenzerzeuger hingewiesen, also auf die grundlegenden Erkenntnisse für die moderne drahtlose Technik. Erwähnt sind ferner die ersten Versuche mit ausländischen Telegraphenverwaltungen, so u. a. die Inbetriebnahme einer Probeanlage zur Verbindung von Christiania mit den Orten am nördlichen Eismeer. Ebenso konnte 1913 mit den neuen Verstärkerapparaten eine erste telephonische Verständigung zwischen Berlin und London erzielt werden. Während des ersten Weltkrieges war allein durch die Ausrüstung der Fernsprechfreileitungen mit den Lieben-Verstärkern eine Sprechverbindung zwischen den verschiedenen Kriegsschauplätzen möglich.

Leider mußte man damals wegen anderer kriegsbedingter Aufgaben bei der Lösung der prinzipiellen Probleme stehenbleiben. An die sich hieraus für den praktischen Verstärkerbetrieb ergebenden schaltungs- und amtsbautechnischen Aufgaben konnte erst wieder nach Beendigung des ersten Weltkrieges herangegangen werden. Das ehemalige Relaislaboratorium wurde zu einer - nach heutigen Begriffen allerdings noch kleinen - Verstärkerfabrik erweitert. Aus dieser Fabrik stammen die ersten, mit AEG-Verstärkern ausgerüsteten kompletten Verstärkerämter, die für das damals entstehende deutsche Fernkabelnetz in Altdorf und Frankfurt/Main 1922 sowie in Rothenburg (Hann.) 1923 erstellt worden sind.

Diese kurze Darstellung zeigt, daß man in der AEG die Bedeutung der Fernmeldetechnik sehr zeitig erkannt hatte und wichtige Teilgebiete schon unmittelbar bei ihrer Entstehung gepflegt worden sind. In diesem Zusammenhang sei auch an die Durchführung der ersten drahtlosen Versuche des Grafen Arco 1898 im KWO erinnert. Eine planmäßige Bearbeitung des Fernmeldewesens setzte bei der AEG allerdings erst mit der Gründung der DFKG im Jahre 1920 ein. 1921 folgten der Neubau einer Fernkabelfabrik mit einer zunächst zugrunde gelegten Lieferkapazität von wöchentlich 50 km hundertpaarigem Normalfernkabel und etwa gleichzeitig die Errichtung einer Pupinspulenfabrik. Diese beiden Fertigungsstätten mit den ebenfalls neu geschaffenen zugehörigen Laboratorien bildeten für die Arbeiten des nun folgenden Jahrzehnts die wesentlichste Grundlage.

II. Die Fernkabeltechnik

Wenn zunächst die Entwicklungsgeschichte der Fernmeldekabeltechnik in der AEG für das erste halbe Jahrhundert rückblickend betrachtet werden soll, so ist diese in all ihrer Vielfältigkeit durch ein wesentliches Charakteristikum gekennzeichnet; den Sternvierer. Entgegen aller Tradition und im Kampf gegen das Vorurteil fast der gesamten übrigen Fachwelt hat die AEG dieses Verseilelement - eine Bauform, die in der Frühgeschichte der Kabeltechnik entstanden war, dann aber allgemein aus Furcht vor großer Nebensprechgefahr verlassen wurde - wieder aufgegriffen und den Nachweis erbracht, daß bei sorgfältiger Fabrikation und Montage die Nebensprechfrage durchaus beherrschbar wird und zumindest die gleiche Güte wie bei paariger Verseilung erzielt werden kann; als besonderer Vorteil aber ergibt sich eine Durchmesserersparnis bis zu 10% und mehr. In konsequenter Verfolgung der damit eingeschlagenen Linie hat die AEG dann aus dem Sternvierer schließlich das Bauelement entwickelt, das heute in Gestalt des Trägerstromsternvierers die Grundlage der ganzen modernen Weitverkehrs-Kabelteçhnik bildet. Die einzelnen Etappen dieses Entwicklungsganges sind:

1919 Erste Vorschläge der AEG für den Ausbau des deutschen Fernkabelnetzes mit Sternviererkabeln.
1921 Fabrikation, Verlegung und Montage von Sternviererkabeln für das Ortsnetz in Haarlem (Holland); anschließend Bau weiterer ähnlicher Ortsnetze.
1924 Umstellung der Teilnehmerkabel der Deutschen Reichspost von paariger Verseilung auf Sternverseilung, im besonderen auf die Initiative der AEG hin.
1924 Bau einer ersten Fernkabelanlage in Sternverseilung für die Strecke Drammen - Kongsberg (Norwegen)  3)  .
1925 Fabrikation und Montage der ersten holländischen Fernkabel in Sternverseilung für die Strecken Utrecht--Rotterdam, Utrecht-Amersfort und Utrecht-den Haag; anschließend in den Folgeiahren Lieferung und Verlegung von insgesamt 500 km Sternkabeln für das holländische Fernkabelnetz.
1925 Kabel München-Dachau für die bayrische Post, bei dem erstmals eine spätere Phantom-Ausnutzung vorgesehen war.
1933 Lieferung und Montage des ersten Sternviererkabels für die Reichsbahn mit Phantomausnutzung  4)  .
1934 Studium der magnetischen Nebensprechkopplungen bei höheren Frequenzen.  5) 
1935 Lieferung der ersten unbespulten Fernkabelanlage an die holländische Verwaltung für die Strecke Groningen-Leeuwarden, geeignet für eine Ausnutzung bis 60 kHz (U-Kabel für 12 Gespräche je Sprechkreis).
1935/37 Entwicklung des U-Sternvierers für unbelastete Leitungen unter Berücksichtigung der durch Stromverdrängung und Nachbarvierereinflüsse bei höheren Frequenzen entstehenden Verluste (DRP 714800 vom 24. 6. 36)  6)  .

 

Damit war das moderne Trägerstromkabel im Prinzip geschaffen, und bald schlossen sich die meisten Länder dieser neuartigen Kabeltechnik an.

Die Nebensprechkopplungen beim Sternvierer in ihrer zeitlichen EntwicklungBild 3: Die Nebensprechkopplungen beim Sternvierer in ihrer zeitlichen EntwicklungDas Neuartige und besondere Kennzeichen dieses Trägerstromsternvierers ist darin zu erblicken, daß alle in systematischer Feinarbeit erreichten fabrikatorischen Fortschritte der Vorjahre zur Erzielung höchster Präzision und größter Kopplungsfreiheit kombiniert worden sind mit dem Übergang zu dünneren Leitern und einer extrem niedrigen Betriebskapazität. Das war die als einzig möglich erkannte Maßnahme für eine weitgehende Reduzierung von Dämpfungserhöhungen im höheren Frequenzbereich infolge von Skineffekt und Nachbarvierereinflüssen. Dabei stellt die so entstandene optimale Bauart eines Verseilelementes für Ausnutzung in breitem Frequenzbereich die einzige grundlegende Abwandlung der allgemein verwendeten, bekannten Papierluftraum-Isolierung dar, ist aber ebenso auch auf andere Isoliermittel anwendbar. Nur durch eine in langen Jahren hoch entwickelte Präzision der Ader- und Viererherstellung war es möglich, diesen Trägerfrequenzvierer trotz seiner extrem niedrigen Kapazität - eine Bauart, die man früher für viel zu labil gehalten hatte - zu einem Bauelement höchster Gleichmäßigkeit und größter Konstanz auszubilden. Um hier wenigstens einen ungefähren Begriff von der sich über Jahre erstreckenden systematischen Entwicklungsarbeit zu geben, deren Krönung schließlich der Trägerstromsternvierer wurde, zeigt Bild3 in Form von Häufigkeitskurven die schrittweise Verbesserung der wichtigsten Nebensprechkopplungen.

Weiter vervollkommnet wurde der 1936 geschaffene Trägerstromsternvierer in den folgenden Jahren noch durch Erkenntnis und Eliminierung der Tauscheffekte. Damit war die Voraussetzung für eine nochmalige bedeutende Erweiterung des Ausnutzungsbereiches der Leitungen bis etwa 300 kHz geschaffen, die dann in allerjüngster Zeit auch verwirklicht werden konnte. '

Betrachtet man rückblickend diese über drei Jahrzehnte konsequent durchgeführte Entwicklungsarbeit am Sternvierer, so ist interessant zu verfolgen, wie sie seinerzeit mit einer heftigen Polemik und Diskussion über uns jetzt beinahe banal und nebensächlich erscheinende Gesichtspunkte einsetzte, während sich heute unser Trägerstrom-Sternvierer in der ganzen Welt durchgesetzt hat und wohl alle modernen symmetrischen Trägerfrequenzkabel von unserem grundlegenden Erfindungsgedanken Gebrauch machen.

Dabei hat sich die AEG durchaus nicht auf diese Entwicklung allein beschränkt, sondern mit ebensolcher Gründlichkeit auch das besonders in den zwanziger Jahren den Markt beherrschende DM-Kabel durch Bau einer Spezial-Viererverseilmaschine nach Ideen von Rist so vervollkommnet, daß sie auch bei diesem Kabeltyp sehr bald qualitativ mit an der Spitze marschierte.

Insbesondere ist auch neben den symmetrischen Trägerfrequenzkabeln die Breitbandkabeltechnik von der AEG mit eigenen konstruktiven Lösungen durchgebildet worden  7)  . Nachdem schon 1927 ein konzentrisches Hochfrequenzenergiekabel entwickelt und laufend geliefert worden war, ist von 1934 an für die Übertragung von Fernseh- und Vielkanal-TF-Bändern die sich stetig verbessernde Typenreihe der Schalenkabel, Rohrkabel und Rillenkabel entstanden und fabriziert worden. Desgleichen konnten in Fortsetzung dieser Linie die physikalischen und technischen Grundlagen für den Bau von Hohlleitern 8)  geschaffen werden. Auch sonst kann auf eine Reihe von Erfolgen und Spezialitäten, wie Tiefseekabel, selbsttragende Luftkabel, Krarupkabel, Kabel für elektrische Bahnen (besonders guter Kabelschutzfaktor durch Heißarmierung) und das Zugspitzkabel zurückgeblickt werden, die alle zeigen, daß unsere Fabrikation jeder Anforderung auf dem Gesamtgebiet der Fernmeldekabeltechnik seit Jahrzehnten gerecht werden kann.

III. Die Pupinspulentechnik

Während der Kabelsektor die in ihren wichtigsten Umrissen aufgezeigte 50iährige Entwicklung kontinuierlich durchlaufen hat, konnte mit dem Bau von Pupinspulen bei der AEG aus patentlichen Gründen erst relativ spät begonnen werden und auch nach Durchführung der ersten, bereits erwähnten Arbeiten (1914) folgte noch eine Unterbrechung durch den ersten Weltkrieg. Der tatsächliche Beginn einer Pupinspulerıtechnik in der AEG datiert daher eigentlich erst vom Eintritt in die DFKG. Um so rascher erfolgte dann ihr Ausbau, und die AEG konnte auch hier bald mit einer Reihe von eigenen Arbeiten hervortreten.

An der Spitze lagen die grundlegenden Untersuchungen von Jordan über die Eigenschaften ferromagnetischer Materialien bei schwachen Wechselfeldern 9)  , die zur Entdeckung der Jordan'schen Nachwirkungsverluste führten und die Beurteilung magnetischer Werkstoffe durch die Messung weniger Konstanten ermöglichten. Auf der Suche nach magnetisch stabilen Kernformen ist nach der Vorstufe des Querdrahtkernes besonders die Entwicklung der lsoperme 10)  hervorzuheben. Diese Eisen-Nickellegierung erhält durch Glühung und Kaltverformung des Ausgangsmaterials hervorragende Stabilitätseigenschaften bei Gleichstrombelastung und wurde besonders vorteilhaft für Kabel längs elektrischer Bahnen und wegen ihrer höheren Permeabilität für Pupinseekabel eingesetzt. Daneben war die AEG seit Anfang der zwanziger Jahre an der Entwicklung des Massekerns maßgeblich beteiligt, dessen stetige Verbesserung sich durch das Kapitel der Pupinspulentechnik als roter Faden zieht und im Verlaufe von etwa einem Jahrzehnt zu einer Verminderung der Spulengewichte um etwa 70% gegenüber dem Stand von 1923 geführt hat. Durch die Entwicklung anderer Massemischungen, hochwertiger Isolierverfahren und neuer Preßtechniken konnten schließlich in den dreißiger Jahren Kerne und Spulen für höhere Frequenzen 11)  geschaffen werden, die einerseits für die Einführung des Eisenkerns in die Hochfrequenztechnik und damit für den Bau moderner drahtloser Nachrichtengeräte wichtig wurden, andererseits die grundlegende Voraussetzung für die rechtzeitige Bereitstellung geeigneter Filterspulen für neuzeitliche, leistungsfähige Trägerstromsysteme schufen.

Als ein technisch besonders interessantes Erzeugnis sind in diesem Zusammenhang die kurz pupinisierten TF-Kabel 12)  der letzten Kriegsjahre hervorzuheben, Kabel, die im Gegensatz zu den normalen, unbelasteten Trägerfrequenzkabeln nach jeder Fabrikationslänge, d. h. in Abständen von 250 bis 500m, für höhere Frequenzen geeignete Pupinspulen von etwa 1 mH enthalten. So wird der Wellenwiderstand der Leitungen bis auf die Größe desienigen einer Freileitung angehoben und damit eine beträchtliche Vergrößerung der Verstärkerfeldlängen erzielt. Einen Extremfall dieser Art von Spezialtechnik stellt schließlich das AEG-Trägerfrequenz~Zwischenkabel dar, bei dem die Hochfrequenzspulen so weit vervollkommnet werden konnten, daß sie in ganz kurzen Abständen bei gleichem Durchmesser wie die Kabelseele in diese eingebaut und gleichzeitig mit ihr verbleit werden. Die eigentliche Pupinspulentechnik hat sicher in ihrer Anwendung insofern ihren Höhepunkt bereits überschritten, als alle modernen Weitverkehrskabel unbespulte TF-Kabel sind. Wohl aber bleibt das weite Gebiet der Filter- und Hochfrequenzspulen, die insbesondere eine leistungsfähige Preßkerntechnik zur Voraussetzung haben. Hier bahnen sich nach der beschriebenen Epoche der Massekerntechnik neue Wege durch den Ferritkern an, der als Ausgangsmaterial kein Eisenpulver, sondern Oxyde verwendet, die in feingemahlenem Zustand gemischt, gepreßt und gesintert werden. Der hiermit gegenüber dem Massekern erzielbare Fortschritt ist im wesentlichen durch außerordentlich hohe Permeabilitäten und praktischen Fortfall der Wirbelstrom-Verluste charakterisiert, so daß die Abmessungen der Spulen ganz beträchtlich vermindert werden können. Die ersten Versuche der AEG mit Eisenoxydkernen wurden in den dreißiger Jahren gemeinsam mit Professor Hilpert durchgeführt, ohne damals bereits zu einer fabrikatorischen Auswertung zu führen, mußten aber dann wegen anderer vordringlicherer Aufgaben zurückgestellt werden. Erst in neuerer Zeit konnten diese Versuche wieder fortgesetzt werden.

IV. Die Trägerfrequenz-Apparatetechník

Nach den geschilderten frühzeitigen Pioniererfolgen des Relaislaboratoriums erfuhr die Apparatetechnik der AEG einen neuen starken Impuls erst wieder durch den Entschluß, auch das Trägerstromgebiet zu bearbeiten. Es ist der AEG in rascher Folge gelungen, auf einem ihr bis dahin völlig neuen Gebiet Fuß zu fassen, maßgeblichen Einfluß zu gewinnen und nach wenigen Jahren bereits ein völlig eigenes Trägerfrequenzsystem zu entwickeln, das ME-System 13)  , welches später das bisher überhaupt in der größten Stückzahl erstellte und praktisch eingesetzte Mehrfach-TF-System wurde.

Technisch sind unsere Arbeiten auf diesem die Beherrschung breitester Frequenzbänder voraussetzenden Spezialgebiet mit seinen zahlreichen verschiedenartigen Teilproblemen auch wieder - ähnlich wie das Kabelgebiet durch den Sternvierer - durch ein besonderes Charakteristikum gekennzeichnet, das im wesentlichen unsere technischen Lösungen und deren Erfolge bestimmt hat: Die Durchbildung einer eigenen Filtertechnik. Die AEG hatte sich zunächst die Aufgabe gestellt, neben den vielen, schon benutzten Wegen neue zu finden. Das erste Ziel war die Schaffung von Trägerfrequenzsystemen, die aus Gründen eines einfachen Aufbaus mit einer möglichst geringen Anzahl von Modulationsstufen arbeiten.

Die Entwicklung besonders leistungsfähiger Siebschaltungen war hierfür Vorbedingung, sie wurde geschaffen auf der Grundlage theoretischer Arbeiten von Piloty 14)  , welche die seinerzeit vorliegenden Ergebnisse der Wellenparametertheorie von Zobel und Cauer systematisch zusammenfaßten und durch Einführung hyperbolischer Maße in für die Berechnung einfache und bequeme Form brachten. Zur Realisierung von Filtern obengenannter Anforderung 15)  waren zusätzlich noch mehrere schaltungstechnische Entwicklungen durchzuführen und Spulen zu schaffen, die in dem gesamten auszunutzenden Frequenzbereich eine genügend hohe Konstanz, ausreichende Spulengüten und große Frequenzstabilität gewährleisten, Arbeiten, über die schon im vorigen Abschnitt berichtet wurde.

Ihren praktischen Niederschlag fanden jene ersten Ergebnisse 1937 in einem Vorschlag für ein einstufiges U-System (Frequenzbereich bis 60 kHz) und 1938 im MEf-System für 15 Gespräche über Freileitungen im Frequenzbereich bis 150kHz.

Der nächste Schritt betraf die Ausarbeitung einer Theorie elektrischer Weichen 16)  und die Realisierung solcher Weichen in Kettenschaltung, wie sie in der ersten Ausführungsform des dann folgenden MEk-Systems verwendet wurden. Dieses schon erwähnte erfolgreichste Trägerfrequenzsystem überträgt im Frequenzbereich bis 60 kHz je 8 Gesprächskanäle in beiden Richtungen über eine Fernkabelleitung. Die einstufige Modulation ist die Grundvoraussetzung für ein Einzelkanalsystem, bei dem jeder Kanal eine völlig autarke Einheit bildet. Sie kann im Gegensatz zu den Gruppensystemen beliebig zu- oder abgeschaltet werden - eine Eigenschaft, die wesentlich mit zu der großen Verbreitung dieses Systems beigetragen hat.

Ein Werkstatteil der fernmeldetechnischen Fabrik in BacknangBild 4: Ein Werkstatteil der fernmeldetechnischen Fabrik in BacknangDie weiteren filtertechnischen Arbeiten führten zur Betriebsparametertheorie 17)  , die im Gegensatz zur Wellenparametertheorie für die praktische Auslegung eines Filters oder einer Weiche alle nur möglichen Freiheitsgrade nutzbar macht und es hierdurch grundsätzlich ermöglicht, bessere Eigenschaften zu erzielen. Seit dem Jahre 1943 konnte das ME-System mit diesen verbesserten Schaltungen ausgerüstet werden.
Unter Anwendung aller bei diesen Arbeiten und dem Bau mehrstufiger Trägerfrequenzsysteme gewonnenen Erfahrungen entstand schließlich in den Jahren 1943/44 der erste, fertig durchgebildete Vorschlag für ein Einheits-Trägerstromsystem. Die Betriebsparametertheorie ermöglicht auch die Berücksichtigung der Verluste der Schaltelemente im Filterentwurf und damit den Verlustausgleich im Übertragungsbereich, Die ersten Arbeiten in dieser Richtung gehen auf das Jahr 1943 zurück, die ersten Realisierungen von verlustkompensierten Filtern einfachster Art wurden Ende 1944 mit Erfolg durchgeführt.

Als vor etwa 3 Jahren von der Deutschen Post in enger Zusammenarbeit mit der deutschen Fernmeldeindustrie der Plan zur Schaffung eines modernen Vielkanalsystems zum Einsatz auf den unter II. erwähnten neuen Trägerfrequenzkabeln gefaßt wurde, setzten die Entwicklungsarbeiten der AEG in Weitervervolgung der früheren technischen Linie wiederum u. a. auf der Filterseite ein. Wie in einem VDE-Fachbericht 18)  vom Jahre 1949 bereits mitgeteilt wurde und an anderer Stelle dieses Heftes näher auseinandergesetzt wird, haben Durchbildung und Anwendung verlustkompensierter Filter einen ausschlaggebenden Fortschritt gebracht. Der annähernd horizontale Verlauf eines solchen Filters im Durchlaßbereich bis zu den Eckfrequenzen gestattet den Verzicht auf besondere Entzerrungsglieder. Hierdurch sowie durch weitere konstruktive Maßnahmen wurde eine wesentliche Raumersparnis erzielt. Gegenüber allen anderen Lösungsvorschlägen konnte die AEG bei dem neuen Trägerfrequenzsystem V 60 der Deutschen Post (60 Gespräche je Leitung im Frequenzbereich von 12-252 kHz) mit dem geringsten volumenmäßigen Aufwand auskommen.

Alles in allem sind die durch diese Arbeiten im Verlaufe eines Jahrzehnts erzielten Fortschritte dadurch gekennzeichnet, daß für das alte U-System viermal so viel Kanalumsetzergestelle erforderlich waren wie für die entsprechende Kanalzahl bei unserem heutigen System V60. Der Trägerfrequenzapparatebau stellte seit seiner Inangriffnahme das Kernstück der AEG-Arbeit auf dem Gebiete der Apparatetechnik dar, umfaßte sie aber bei weitem nicht ausschließlich. Nur kurz erwähnt seien noch die Niederfrequenzverstärker, die gesamte Drahtfunktechnik, die EW-Telephonie, die Fernwirktechnik, die Wechsellautsprech-(WL.)-Anlagen - ein Grenzgebiet der Elektroakustik auf dem die AEG besonders bahnbrechende Arbeiten aufzuweisen hat - und schließlich die fernmeldetechnischen Meßgeräte, die für alle Arbeiten auf dem Schwachstromgebiet eine unerläßliche Voraussetzung bilden, ebenso wie die Pflege fernmeldetechnischer Bauelemente.

Als sich nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 und dem Totalverlust aller unserer Fertigungsstätten und deren Einrichtungen wieder Gruppen ehemaliger Mitarbeiter zusammenfanden, mußten erst ein geeigneter Ort und das richtige Betätigungsfeld gefunden werden. Zunächst entstanden an vier weit verstreuten Orten Westdeutschlands behelfsmäßige Arbeitsstätten mit verschiedenen Einzelaufgaben, bis schließlich deren Zusammenfassung zu einer neuen fernmeldetechnischen Fabrik in Backnang durchführbar wurde. Einen Einblick in die neu geschaffenen Produktionsstätten vermittelt Bild 4.

AEG-TF-Kabel im Prüffeld im Kabelwerk Neumeyer NürnbergBild 5: AEG-TF-Kabel im Prüffeld im Kabelwerk Neumeyer NürnbergTrotz der damals noch katastrophalen Lage wurde der Entschluß gefaßt, das gesamte frühere Programm der Drahtnachrichtentechnik in Backnang wieder in Angriff zu nehmen, nur mußte zunächst eine den jeweiligen Absatzmöglichkeiten angepaßte Gebietsauswahl getroffen werden. Man begann mit der Herstellung wichtigster Bauelemente wie Spulen, Transformatoren und Relais zur Schaffung einer fabrikatorischen Basis und in den Labors mit der Entwicklung und dem Bau von Meßgeräten. Der planmäßige Wiederaufbau ist inzwischen weitgehend zum Abschluß gekommen. Das beweist die Tatsache, daß Backnang sowohl an der Entwicklung der neuen Trägerfrequenzsysteme für die Deutsche Post wieder maßgeblich beteiligt ist und ebenso, neben einer Belieferung auf den verschiedensten früheren Teilgebieten, vor allem mit den gezeigten neuen Trägerfrequenzsystemen den Bau hochwertiger Anlagen wieder aufgenommen hat.

In einem Punkt unterscheidet sich dieser Wiederaufbau von dem einstigen: Während sich damals aus der Keimzelle der Kabelfertigung im KWO die Spulen- und Apparatetechnik systematisch herausgebildet hatten, verlief der neue Prozeß genau umgekehrt. Am Anfang stand diesmal die Wiedererstellung einer Apparatefabrik, und erst im Jahre 1949 wurde nach Abschluß eines Vertrages mit der Kabel- und Metallwerke Neumeyer A.G., Nürnberg, in deren Werken von der AEG mit der Herstellung von Fernmeldekabeln aller Art begonnen (Bild 5). Gerade in diesen Wochen kann mit der 1000. zur Abnahme gestellten TF-Kabellänge konstatiert werden, daß die Fernmeldetechnik der AEG ihre bewährte Leistungsfähigkeit auf ihrem gesamten ursprünglichen Arbeitsgebiet wieder erreicht hat. Die folgenden Artikel sowie einige weitere Aufsätze in späteren Heften dieser Zeitschrift sollen im einzelnen hierüber Aufschluß geben.

Schrifttum

 

1) H. Jordan: 40 Jahre AEG-Fernsprechkabel,
AEG-Mitt. (1940) 7/8, 5.174--188, 11 B.
2) H. Jordan: Fernsprechleitungen kleinster Verzerrung für mehrfache Verstärkung,
ETZ 37 (1916) 3, S.31-34 u. 4, S.17-50, 5B.
3) H. Jordan u. W. Wolff: Das erste Fernkabel in Sternverseilung,
ENT 2 (1925)12, S. 445-454, 11 B, 4T.
4) H. Jordan u. W.Wolff: Phantompupinisierte Sternvierer
EFD (1935) H.39.
5) G. Wuckel: Entstehung und Wesen der magnetischen Nebensprechkopplungen in Fernsprechkabeln
EFD (1934) 34, S.18ff.

G. Wuckel: Komplexe magnetische Nebensprechkopplungen in Fernsprechkabeln,
ENT 11 (1934) S. 157 ff.
6) G. Wuckel; Physik der Fernsprechkabel bei höheren Frequenzen,
EFD (1937) 47, S. 209-224, 30 B, 4 T.
7) G. Wuckel: Hochfrequente Ausnutzung von Fernsprech-Kabelleitungen,
EFD (1936) 44, S. 157-167, 18 B, 2T.
8) H. Buchholz: Gekoppelte Strahlungsfelder im kreiszylindrischen Hohlleiter,
Annalen d. Physik 39 (1941) 2, S. B1-128

H. Buchholz: Die Fortpflanzung elektromagnetischer Wellen in Hohlleiterkabeln,
EFD (1941) 58, S189-206, 21 B, 31.
9) H. Jordan: Die ferromagnetischen Konstanten für schwache Wechselfelder, ENT I (1924) 1, S. 7-29.
10) Dahl, Pfaffenberger u. Sprung: Neuartige magnetische Werkstoffe für Pupinspulen,
ENT 10 (1933) H..8. O. Dahl u. J.

Pfaffenberger; Hysteresearme und stabile Werkstoffe für die Fernmeldetechnik (Isoperme),
Zeitschr. f. techn. Physik 15 (1934) 3, S.99-106, 10 B, 1 T.
11) G. Kiesling Neuere Ergebnisse auf dem Gebiete der Massekerntechnik, insbesondere für Hochfrequenz,
Jahrb. d. AEG-Forschung, 6 (1939) 3, S.171-177, 9B, 4T.
12) G. Wuckel u. W. Wolff; Pupinisierte Trägerstromkabel,
AEU 2 (1948) 9, S. 343-347, 39 B u. 3 (1949) 1, S.11-23, 39 B.
13) G. Häßler; Einstufige Trägerfrequenzsysteme für höhere Frequenzen,
VDE-Fachberichte 10 (1938) S.188-191, 5 B.
14) H. Piloty: Über Reaktanz-Vierpole,
ENT14 (1937) 3, S. 88 ff.

H. Piloty: Über elektrische Weichen
ENT14 (1937) 6, S 197 ff.
15) G. Häßler; Hochwertige Filter bis zu Trägerfrequenzen von ó0kHz,
VDE-Fachberichte 9 (1937), S. 217-220, 5 B.
16) H. Lehmann; Neue Realisierungsmöglichkeiten für elektrische Weichen,
ENT 15 (1938), S,342. H. Piloty; Weichenfilter, TFT28 (1939) H. 8 u. 9.
17) H. Piloty: Kanonische Kettenschaltung für Reaktanzvierpole mit vorgeschriebenen Betriebseigenschaften,
FT 29 (1940) 9, S. 249-258, 10, S. 279~29O u. 11, S. 320--325, 17 B 9T'.
18) H. Lehmann; Verlustkompensierte Filter in Trägerfrequenzsystemen,
FTZ 3 (1950) 11, S. 415-417, 5B.
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